Worte wie Sterne am Nachthimmel – Arten von Stil

»Das Buch liest sich wie aus Aufsätzen eines Viertklässlers zusammenkopiert.« – »Der tolle, anspruchsvolle Stil hat mich umgehauen.« – »Der Schreibstil ist einfach; dafür wird mir das Buch nicht in Erinnerung bleiben.« Wer hat nicht schon einmal eine solche Rezension gelesen oder selbst erhalten, und das vielleicht auch noch beim gleichen Buch?

Was ist guter Stil? An der Frage scheiden sich die Geister. Trotzdem ist es mir als Autorin wichtig, meine Geschichten auch stilistisch so gut zu schreiben, wie es irgendwie geht. Aber wie, da Stilempfinden doch offenbar eine ganz persönliche Sache ist? Darum soll es heute in diesem Blogartikel gehen.

Drei Arten von Stil

Bleistiftportrait von Cicero
Der römische Autor Marcus Tullius Cicero hat hilfreiche Stil-Tipps auf Lager.

Der römische Anwalt, Autor und Stil-Spezialist Cicero (106 – 43 v. Chr.) unterscheidet zwischen drei Arten (oder Ebenen) von Stil: einfachem, mittlerem und erhabenem Stil. (Auf Latein: genus humile, genus medium, genus grande.) Diese Stilarten sind leicht voneinander zu unterscheiden. Keine ist wertvoller oder besser als die anderen, alle haben ihre Berechtigung. Ich finde Ciceros Hinweise heute noch sehr nützlich.

  • Einfacher Stil ist sehr schlicht gehalten. Er benutzt kurze Sätze und Wörter aus der Alltags- und Umgangssprache. Jede*r versteht ihn ohne Probleme. Er ist aber nur begrenzt geeignet, um komplizierte Dinge auszudrücken.
  • Mittlerer Stil fällt weder durch Wortwahl noch durch Satzbau besonders auf. Jede Information und jeder Zusammenhang lassen sich dadurch vermitteln.
  • Erhabener Stil verwendet poetische Wörter und nutzt sämtliche Möglichkeiten der Sprache (Stilmittel, Satzbau, Metaphern usw.), um große Gefühle auszudrücken und in den Leser*innen zu wecken.

Wann ist welcher Stil sinnvoll?

Sicher ist euch beim Lesen und Schreiben schon aufgefallen, dass ein Roman in der Regel nicht nur eine dieser Stilarten enthält, sondern mehrere oder sogar alle. Das liegt daran, dass die Wahl des Stils davon abhängt, worum es im Text gerade geht. Cicero hatte auch ein Wort dafür: aptum, das bedeutet »angemessen«: Stil und Text passen zusammen. Das Gegenteil von aptum ist ineptum: albern oder unfreiwillig komisch.
Habt ihr schon einmal einen wissenschaftlichen Text voller umgangssprachlicher Wörter gelesen? Oder einen Roman, in dem der*die Autor*in mit hochtrabenden, gekünstelten Worten über völlig alltägliche Dinge schreibt? Dann wisst ihr, was ich meine.

Aber welche Art von Stil passt nun zu welcher Textstelle? Letzten Endes habt ihr die Wahl, weil ihr entscheidet, wie ihr den Text gestaltet und was ihr besonders betonen möchtet. Ich erzähle euch im Folgenden, wo und wie ich verschiedene Stilarten für sinnvoll halte und selbst benutze.

Einfacher Stil – verständlich, bodenständig, mit Humor

Einfacher Stil war in Romanen früher so gut wie gar nicht üblich, kommt jetzt aber relativ häufig vor. Aufgefallen ist mir das bei allem bei einigen Jugendbüchern und Liebesromanen, die zum schnellen Lesen und zur reinen Unterhaltung gedacht sind. Bei Jugendbüchern dient er offenbar dazu, Menschen, die wenig Leseerfahrung haben, den Text zugänglicher zu machen. Wer zur reinen Unterhaltung liest, möchte dabei oft nicht viel nachdenken – und das ist natürlich in Ordnung so. Daher ist der einfache Stil in solchen Fällen genau richtig gewählt.
Ich benutze einfachen Stil meist dann, wenn eine eher bodenständige Figur Perspektive hat, spricht oder ihre Gedanken wiedergegeben werden. Das bedeutet nicht, dass die Figur dumm sein muss. Sie interessiert sich nur in diesem Moment für die naheliegenden Dinge (Essen, Schlaf, Sex u. ä.). Außerdem kann einfacher Stil wunderbar benutzt werden, um einen ansonsten ernsten Text durch humoristische Elemente aufzulockern. Auch für Sexszenen ist er eine Überlegung wert, jedenfalls dann, wenn es deftig zur Sache geht. Einfacher Stil nennt die Dinge klar beim Namen, und das kann gerade bei erotischen Szenen ein Vorteil sein.

Junge Frau mit Tätowierungen (Symbolbild)
Wäre einfacher Stil eine Person, wäre er ein offenherziger Teenager.

Mittlerer Stil – die Stütze des Textes

Mittlerer Stil begegnet einem überall: in Romanen, in Gebrauchsanleitungen, in wissenschaftlichen Texten. Er enthält weder poetische Wörter noch Umgangssprache, kann aber, wenn nötig, Fachausdrücke enthalten. Der Satzbau kann komplex sein. Unübersichtlich sollte er aber nicht werden. Zusammenfassende Passagen sind in Romanen fast immer in mittlerem Stil geschrieben. Er fällt beim Lesen kaum auf, denn der Inhalt steht im Vordergrund, nicht die Sprache. Das bedeutet aber nicht, dass mittlerer Stil sachlich und knochentrocken sein muss. Weil er Informationen präzise und anschaulich vermittelt, kann er eine dichte Atmosphäre schaffen.
In mittlerem Stil zu schreiben, ist nicht unbedingt leicht. Treffende Worte zu finden und auch komplizierte Zusammenhänge verständlich darzustellen, stellt eine Herausforderung dar. Dabei werden Textstellen in mittlerem Stil Leser*innen kaum wegen einer besonders gelungenen Formulierung im Gedächtnis bleiben. Und doch ist er der Grundstoff von Texten, die Substanz, die sie zusammenhält. Er erklärt alles, verknüpft alle Zusammenhänge her und stellt sicher, dass nichts unklar bleibt.

Mann mit Buch (Symbolbild)
Wäre mittlerer Stil eine Person, wäre er ein kluger und geduldiger Lehrer.

Erhabener Stil – emotional, kunstvoll, vielfältig

Besondere Momente brauchen eine besondere Sprache. Dazu ist erhabener Stil da. In Romanen kommen Situationen vor, in denen die Figuren schlimme oder wunderbare Dinge erleben, von starken Gefühlen überwältigt werden usw. Hier gilt: Je stärker die Gefühle, desto eher ist erhabener Stil geeignet.
Was bewegt Figuren in einem Roman besonders? Das hängt natürlich von der Figur ab. Aber was es auch sein mag: der großen Liebe zu begegnen, erschütternde Erlebnisse durchzumachen, in der Natur zur Ruhe zu finden, das alles sind Momente, die nach erhabenem Stil rufen.
Bei erhabenem Stil geht es nicht nur im poetische Sprache, die auch manchmal unpassend wäre. Autor*innen steht ein ganzes Arsenal an Stilmitteln zur Verfügung, um ihren Worten Gewicht zu verleihen. Wenn du dich fragst, wann der Moment gekommen ist, es zu nutzen: jetzt! Mache diesen Moment in deinem Buch mit deinen Worten so unvergesslich, wie er es für deine Figur ist. Cicero hat einen schönen Vergleich für den Einsatz von Stilmitteln: Wenn der Text der Nachthimmel ist, sind die Stilmittel die Sterne, die daran funkeln. Dabei ist erhabener Stil nicht unbedingt auch schön, denn er behandelt ernste und schreckliche Themen ebenso wie erfreuliche.
Wirkt der erhabene Stil aber schwülstig oder gekünstelt, ist etwas schief gelaufen. Sinnvoll eingesetzte poetische Worte und Stilmittel fügen sich in den Text ein. Wer ihn liest, wird emotional mitgerissen, doch nicht durch überkandidelte Formulierungen verwirrt. Denk daran: Es geht nicht darum, allen zu zeigen, was du für ein*e talentierte*r Wortkünstler*in bist. Es geht darum, deine Geschichte möglichst angemessen zu erzählen.

Alter Mensch mit Brille, schreibend (Symbolbild)
Wäre erhabener Stil eine Person, wäre er ein sensibler und nachdenklicher Poet.

Erhabener Stil kann ein intensives Leseerlebnis bieten, aber er stellt auch eine Gefahr für den Text dar, wenn er zu oft oder zu stark eingesetzt wird. Poetischen Stil zu lesen, kann anstrengend werden. Nicht immer ist er leicht zugänglich. Daher sage ich mir selbst immer wieder bei entsprechenden Textstellen: Sei präzise, auch bei der Wahl deiner Metaphern, Vergleiche und poetischen Worte. Hinterfrag dich selbst: Schreib nicht irgendwelchen sinnlosen Quark, nur weil es schön klingt. Übertreib es nicht. Vermeide inhaltliche Wiederholungen, in denen du dasselbe noch einmal mit anderen Wörtern ausdrückst (das darf nur Cicero!). Sieh zu, dass deine Textstellen in erhabenem Stil nicht zu lang werden – das hält auf Dauer nämlich kein Mensch aus. Und vor allem: Nichts wirkt so unfreiwillig komisch wie erhabener Stil an der falschen Stelle. Niemand möchte in poetischen Worten lesen, wie jemand Cornflakes isst und die Schüssel anschließend in die Spülmaschine stellt. Wirklich nicht. (Natürlich gilt das aber auch umgekehrt: Werden besondere, emotionale Momente in Geschichten nüchtern und sachlich beschrieben, wirkt der Stil distanziert und die Figur, die Perspektive hat, eventuell gefühlskalt. Dieser Umstand kann natürlich auch gezielt eingesetzt werden, z. B. zur Charakterisierung.)

Die Rolle des persönlichen Geschmacks

Davon abgesehen bleibt Stil natürlich auch immer in gewissem Rahmen eine Frage des persönlichen Geschmacks. Ich z. B. finde erhabenen Stil schnell überzogen und könnte die Wände hochgehen, wenn längere Passagen auf mich »schwurbelig« wirken, andere lieben genau das. Manche Menschen mögen emotionale Texte grundsätzlich nicht so sehr, manche mögen sie besonders.

Habt ihr euch jemals solche Gedanken gemacht? Oder passt sich euer Stil von ganz allein dem Inhalt an? Welches Buch gefällt euch besonders für seinen gelungenen Stil und was genau gefällt euch daran? Schreibt es mir in die Kommentare!

Eure Kaja


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